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Berührende Reise in die Vergangenheit

Das geht unter die Haut: Eva Baumanns Tanztheaterstück „Nadezhda“ ist im FITZ uraufgeführt worden.

erschienen am 21.04.2024 von Petra Mostbacher-Dix bei StZN

Leicht, elegant, fast unmerklich schwanken ihre Körper. Wie Gräser im Wind. Wie Schilfgras in den Wogen. Stehen die beiden Frauen doch zwischen den Seilen, die an Schiff und Segel erinnern. Aus den Boxen schwappt das Meer und kreischen Vögel. Hurtig rückwärts dazu bewegt sich auf dem Land eine Dritte. Durch drei Kleider, an Bügeln baumelnd, schlängelt sie sich, eine kleine Holzfigur vorsichtig in den Armen haltend. Aufbruch, Ankunft oder beides? Ist das in diesen Zeiten überhaupt noch auseinanderzuhalten? War es das früher? Im FITZ, Theater animierter Formen, tauchen die Performerinnen Eva Baumann, Bar Gonen und Aurora Bonetti tief in das Gestern ein – auf der Suche nach „Nadezhda“.

So heißt das „figurale Tanztheaterstück über den Verlust des Eigenen und die Hoffnung“ von Eva Baumann. Es ist der zweite Teil ihrer Trilogie ZEIT/GEIST, in der sich die Choreografin und Tänzerin mit der Psychologie des Fremd-Seins beschäftigt. Ging es in Part eins „alieNation oder: Strangers in a world that they themselves have made“ um die Entfremdung in einer zunehmend virtuellen Gegenwart, schaut sie nun zurück in familiäre Vergangenheiten

Uralte Menschheitsgeschichte

Inspirationen dazu gab es zahlreiche. Etwa von Bar Gonen, deren Vorfahren vom rumänischen Galați über Zypern nach Israel migrierten. Von der Szenografin Katrin Wittig, deren Familie aus dem böhmischen Brüx, heute Tschechien, stammt. Von Eva Baumann, deren Großmutter Frieda, damals 17 Jahre alt, als „Schwarzmeerdeutsche“ aus dem ukrainischen Dorf Nadezhda bei Odessa 1944 vor der russischen Armee flüchtete. „Vertriebene“ waren im Deutschen Reich nicht willkommen. Und doch versuchten sie dort und nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik, ein neues Leben aufzubauen. Eigenes verlieren, in der Fremde zunächst fremd sein, im Unbekannten Heimat finden, ist eine uralte Menschheitsgeschichte. Baumann, ihre Mitspielerinnen und ihr Team – dazu gehören noch Musiker Roderik Vanderstraeten, Figurenbauerin Verena Waldmüller, Lichtkünstler Ingo Jooß und Coach Julika Mayer – erzählen das mit eindrücklichen Bildern, Klängen und Atmosphären, die unter die Haut gehen.

Mitreißende Klanglandschaft

Etwa wenn die drei Frauen in traditionellen Reigen über die Bühne toben, mal in Shorts, mal in bunten Trachtenröcken. Wenn sich die Schiffsseile erst zur Leine für die Wäsche, dann zu einer Art Trapez wandelt, auf dem man sich wie beim Kite-Surfen hineinlegt, womöglich wie Ikarus Richtung Scheinwerfersonne aufschwingen könnte. Wenn Baumann, Gonen und Bonetti die Kleider – vom langen Schwarzen der Jahrhundertwende bis zum Business-Look – bestaunen und liebkosen, wie eine sehnsuchtsvolle Erinnerung oder Zukunftsvision, dann in sie hineinschlüpfen und Generationen von Leben zu erfahren versuchen. Es ist eine so mitreißende wie feinfühlige Klanglandschaft aus Klassikern von Beethovens „Mondscheinsonate“ und Volksweisen über Tangos bis zu Landschaftsatmosphären und mehrsprachigen Wortträumen wie „Sicherheit“ und „ein bisschen Wohlstand“, in die Komponist Vanderstraeten die stets aktuelle Geschichte von Migration und Vertreibung bettet. Baumanns Stück ist universal zu lesen. Ihr geht es vor allem auch um das gute Ankommen. Wie lautet noch die russisch-ukrainische Übersetzung von „Nadezhda“? Hoffnung!

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