In seinem neuen Stück „Untiefe“ erforscht Jan Jedenak im Leipziger Westflügel das Unerforschbare: die menschliche Seele. Nur mit Körper und Licht zaubert er geheimnisvolle Bilder auf die Bühne.
erschienen am 15.04.2023 von Dimo Rieß bei Leiptiger Volkszeitung
Langsam wie Zaubertinte, die sich erst nach und nach vom Untergrund abhebt, malt der Scheinwerfer einen Lichtkreis auf den Boden. Sofort springt die Fantasie hindurch, wie der Tiger durch den Feuerreif in der Manege. Was ist das für ein Lichtkreis? Ein Bannkreis, ein Zauberring? Und geht es überhaupt um ihn oder doch eher um das Schwarz in der Mitte? Schließlich ist man ja ausgerüstet und trägt den Titel des Abends im Hinterkopf: „Untiefe – a depthless place“. Der Weg scheint durch dieses Schwarz hinab ins Bodenlose zu führen.
Am Freitagabend zeigte Jan Jedenak die Premiere seines neuen Stücks im Leipziger Westflügel. Wieder ein knapp einstündiges, intensives Solo wie zuletzt in „Mandragora“, wieder in Zusammenarbeit mit Jonas Klinkenberg, der Regie führt. Die akrobatische Höchstleistung aus dem beklemmenden Vorgänger hat sich in feine Reduziertheit verwandelt, geblieben ist der konzentrierte Fokus auf den eigenen Körper. Diesen Körper legt das Licht langsam frei. Er scheint zu schlafen, liegt leicht gekrümmt um den Lichtkreis. Von jeder Bewegung, die folgen wird, fragt man sich, ob sie eine Wirklichkeit darstellt oder nur die Träume als Fenster zur Seele.
Die Dunkelheit gebiert Metamorphosen
Gesichtszüge beginnen zu zucken. Hände oder Füße schieben sich ins Licht und verschwinden wieder. Sie scheinen mitunter ein vom Körper entkoppeltes Eigenleben zu führen. Gliedmaßen verwandeln sich in ephemere Figuren. Aus der bestechend scharfen Trennung von Licht und völliger Dunkelheit bezieht der Abend seinen Zauber, weil Figuren sich kurz im sichtbaren Raum bewegen und jederzeit wieder verflüchtigen. Die Dunkelheit gebiert Metamorphosen.
Jedenak spielt mit sorgfältig reduziertem Radius. Lange Zeit übertritt kein Körperteil die Schwelle zum magischen Schwarz in der Mitte. Dadurch verstärkt sich der bedrohliche Zauber, als sei es ein unheilvoller Ort, ein Loch, ein Sog. Irgendwann wird er dennoch hineinschauen. Die Lichtmalerei am Boden lässt sich dann als Auge lesen, der Lichtkreis die Iris, das Schwarz die Pupille. Und der Blick wird zur unheilvollen Begegnung mit sich selbst, mit der eigenen Seele, mit den Dämonen, die sich darin tummeln.
Jedenak scheint immer beides zu sein, er selbst und der Dämon. Mal sind es die Hände, die als eigenständige Wesen in der Lichtsäule hinaufzuklettern versuchen. Dann wieder kauert er, auf einmal ohne Haare, wie Gollum im fahlen Licht. Ein Hummer nähert sich bedrohlich, bis sich Jedenak selbst mit einer Gummimaske in einen Hummer verwandelt. Auch die Stimme spielt eine kurze Rolle, mehr Ruf als Gesang, wie ein Versuch der instinktiven Selbsterkundung in der Leere des Raumes.
Wenn der Körper zur zombiehaften Figur wird
Zentral in dieser Inszenierung wirkt die Musik von Ekheo, ein raffiniertes Soundgeflecht, das immer wieder mit Hall den Eindruck der Leere verstärkt. Jedenak hat sich wieder prominente Unterstützung geholt, Nicole Mossoux etwa für die Choreografie. Und dezent an ihr „Whispers – Birth of Phantoms“, das die belgische Künstlerin vor einiger Zeit im Westflügel vorgestellt hat, erinnern Elemente des Abends, etwa Bewegungen zu knarzenden Geräuschen, wenn der Körper zur zombiehaften Figur wird.
„Untiefe“, dieses handwerklich präzise Spiel mit Körper, Sound, Licht und Schatten, bleibt im Detail enigmatisch. Doch der Sog funktioniert auf dieser intimen Reise ins tiefste Innere mit all ihren Dämonen der Seele.
Leipziger Volkszeitung