erschienen am 21.09.2016 von Petra Bail bei Esslinger Zeitung
Stuttgart – Die Digitale Revolution schreitet voran. Der Wandel betrifft nicht nur Industrie und Technologie, sondern fast alle Lebensbereiche, also auch die Kunst und die Kultur. Wohin gehen die Entwicklungen, was sind die Konsequenzen für den Mensch? Überlegungen, die das Fitz! Zentrum für Figurentheater in Stuttgart dazu veranlasste, die kommende Spiel-zeit 2016/2017 unter das Motto„Möglichkeit Mensch“ zu stellen.Viele der insgesamt 14 neuen Produktionen freier Ensembles setzen sich mit der Frage auseinander, was das Menschsein ausmacht und was das Theater darstellt: Hort des Analogen oder Labor des Digitalen.
Eine Antwort versucht die multimediale Theaterperformance „Die zweite Realität“ mit der morgen die Spielzeit eröffnet wird. Das Stuttgarter Ensemble Meinhardt Krauss Feigl gilt als Spezialist für Theater und Medien.
Im letzten Teil ihrer Tetralogie zu den großen Kränkungen der Menschheit bringen sie mittels Sensortechnik ein bemerkenswertes Video- und Soundtrackingsystem zum Einsatz. Durch Infrarotverbindung haben die Spieler und Tänzer die Kontrolle über den Klang und die Bilder. Die Frage steht im Raum: „Werden wir durch die Technik befreit oder entmächtigt?“, so Katja Spiess, Leiterin des Fitz. Alleine das Technikpult, das fast die komplette letzte reihe ausfüllt, ist eine Show. Zum Themenkomplex gehört die Robotik, der nimmt sich das Stuttgarter O-team mit „Singularity“ (Uraufführung am 23. April 2017) an. Im Stück wird untersucht, wie Wesen mit perfektionierter künstlicher Intelligenz gleichberechtigt mit dem Mensch zusammenleben. Seit 30 Jahren arbeitet das Ensemble Materialtheater analog an der Umsetzung gesellschaftspolitischer Themen. Mit bescheidenen Mitteln, humorvoll, unaufgeregt und ohne große Schockeffekte geht die jüngste Produktion, „Der Friedhof“ (Premiere am Donnerstag, 20.Oktober) der Frage nach, was die Zukunft prägt: das Prinzip der Solidarität oder das Gesetz des Stärkeren?“ Das Stück ist der Auftakt der vierteiligen Reihe „Heimweh nach der Zukunft“, die mit einer langen Nacht der Geschichten unter dem Titel „Kino im Kopf“ (16. Dezember) Fortsetzung findet. „Trickster“ ist ein offenes Format zur Stückentwicklung bei dem die Spieler viel ausprobieren – Interaktion mit dem Publikum inklusive; Uraufführung ist am 30. März.
Stefanie Oberhoffs „Gräfin“ war laut Christian Bollow, Verantwortlicher für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, der Shootingstar der vergangenen Saison. Das Publikum darf auf neue Betrachtungen über Sex, Tod und Dichtung gespannt sein. Als „Juwel“ bezeichnet Bollow das Duett „Nachtkonzert“ am 10. und 11. Dezember. Der Tübinger Puppenspieler Frank Soehnle bietet mit dem schwedischen Kontrabassisten Jesper Ulfenstedt ein theatrales Gespräch zwischen Instrument und Figur.
Zwei Premieren für Kinder stehen im Herbst auf dem Programm. Mirjam Hesses moderne Märchenadaption „Das Versteck“ (ab fünf) feiert am 2. Dezember Premiere. Der 108 Jahre alte Kinderbuchklassiker„Der Wind in den Weiden“ (ab acht) wird vom Ensemble Figurenkombinat als wildes Abenteuer auf die Bühne gebracht. Das gleichnamige Stück wird am 10. Dezember uraufgeführt. Stolz sind Spiess und Bollow auf die Kooperation mit dem Stuttgarter Filmwinter. Vom18. bis 22. Januar 2017 ist das bedeutendste süddeutsche Festival für Experimentalfilm unter anderem im Fitz zu Gast, das dazu zwei Produktionen zeigt. Im Foyer werden weiterhin Ausstellungen gezeigt. Ab 7. Oktober sind Collagen des Stuttgarter Grafik-Designers Martin Raubenheimher zu sehen, der sich von „Krabat“ inspirieren ließ.
In der vergangenen Saison besuchten 17 000 Zuschauer das Fitz, davon waren allerdings 3000 Gäste des Festivals Imaginale. Ohne diese Besucher sind die Zahlen rückläufig, so Spiess, die dafür die benachbarte Baustelle verantwortlich macht. Wegen des Lärms ist das Theater tagsüber nicht bespielbar. Die Probenbühne wurde zwar in-zwischen als Studiobühne für das Kinderprogramm umgebaut. Allerdings passen statt 110 Personen nur 60 in den Zuschauerraum.