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erschienen am 01.07.2024 von Melanie Suchy bei Tanz
newcomerin_SMADAR GOSHEN
«Ja», «ken» auf Hebräisch, sagt jemand, der auch «Nein» sagen könnte. Wenn Smadar Goshen in ihrem Solo «Ken» die Bühne betritt, steht ihr Mund offen, stumm. Die rechte Faust ragt in die Luft, «Aaaaa». Kein Schrei, eher die Soloversion eines Chores. Die Spiegelung des Publikums, als Live-Film an der Bühnenrückwand im Stuttgarter Fitz-Theater betont ihr Ausgesetztsein. Sie nimmt sich Objekte, räumt sie woandershin, eines holt sie aus dem Kleid, gebiert ein Knäuel schwarzen Drahtes. Ein Stuhl, ein Tuch, ein Eimer, ein Messer.
Der Anfang, mit seitlich gebogenem Oberkörper und vor Brust und Bauch gehaltenen Händen, erinnert an alten Neuen Tanz. Später erklärt Goshen, dies solle die Wurzeln der Kunst darstellen, «das Erbe». Zwischendurch rennt sie, kraucht, kniet, sucht Balance auf einem Bein, wird still, scheint mit den Fingern zu denken, zu sich selbst zu sprechen. «Ken» spielt mit Verbergen und Aufdecken, Sagen und Schweigen. Nein, Ja? Topf überm Kopf, Kopf in den Nacken? Als Zuschauerin setzt man diese kleinen Vorgänge und groß wirkenden, nie eindeutig lesbaren Bilder in Bezug zum Unbegreiflichen des 7. Oktober in Israel, zu Schrecken und Leid.
Das sei auch so gemeint, sagt die Choreografin später im Gespräch. Doch hatte sie die Arbeit an «Ken» viel früher begonnen. Es sollte ums Leben in ihrer Heimat gehen: «Living in a war zone». Der Bruder ihres Partners starb als Soldat an jenem Tag. Sie verschob die Premiere.
Goshen, in Kiryat Tiw'on nahe Haifa geboren, begann früh mit Tanz und Schauspiel. Musste mit 18 zur Armee, wurde depressiv. Doch sie fand zurück zum Tanz, machte ihren Master in Choreografie, 2011 schuf sie ihr erstes Stück in Tel Aviv. 2018 wurde sie Gaga-Lehrerin, zog dann nach Stuttgart wegen ihres Partners. Fremd war ihr das nicht: Ihr Großvater stammte aus Rottenburg-Baisingen, er emigrierte 1938, seine Mutter starb in der Shoah. Die Enkelin nahm er auf einen Herkunftstrip nach Deutschland mit.
Stuttgarts freie Szene hat es schwer. Goshen mag es trotzdem dort. Sie bekommt Drei-Jahres-För-derungen, unterrichtet viel, in der Region und deutschlandweit, Gaga schätzt sie als Basis fürs Choreogra-fieren, als «Werkzeug fürs Kommunizieren über Erfahrungen». Warum «Ken» im Figurentheater FITZ! spielen durfte? «Mit dem Körper gehe ich um wie mit einem Objekt.»