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Wie verarbeitet der Körper Chaos?

erschienen am 03.12.2023 von Nina Förster bei IN Kultur

Getanzt hat sie schon als Kind, erinnert sich Smadar Goshen. Im Alter von vier Jahren besuchte sie bereits eine Tanzschule, seitdem hat sie nie mit dem Tanzen aufgehört. Ursprünglich kommt die 36-Jährige aus der Nähe von Haifa, lange hat sie auch in Jerusalem und Tel Aviv gelebt, bevor sie 2019 nach Stuttgart zog. Den Umzug nach Deutschland beschreibt Smadar Goshen einerseits als eine bewusste, andererseits auch als eine unbewusste Entscheidung. Bewusst, weil ihr Partner in Stuttgart einen Masterstudienplatz erhalten hat und sie ohnehin auch einmal in Europa leben wollte, um zu sehen, wie ihr kreativer Prozess außerhalb von Israel aussieht. Unbewusst, weil ein Teil ihrer Familie aus Baden-Württemberg stammt: Ihr Großvater ist in Bisingen aufgewachsen. Im Alter von 18 Jahren ist er 1938 mit seiner Schwester und seinem Zwillingsbruder ins heutige Israel geflohen.  »Ich glaube es gibt einen Grund, warum ich hier gelandet bin«, vermutet die Tänzerin.

»Es geht um Chaos, die Zerstörung, die es hinterlässt und den Akt des Wiederaufbaus.

Mit Ken | כן, was im Hebräischen »Ja« bedeutet, erforscht Smadar Goshen den soziopolitischen Aspekt von Chaos: »Es geht um unerträgliche chaotische Realität, das Chaos einer Situation, die für die Seele zu überwältigend ist, um sie auszuhalten und um tiefen Schmerz. Um Verlust, als Resultat eines Lebens im Kriegsgebiet.« Außerdem beschäftigt sich die Künstlerin mit dem Akt des Wiederaufbaus, mit »Alternativen, die sich Menschen überlegen, wenn alles zusammenbricht, wie Regeln und Systeme, auf die man sich zuvor verlassen konnte«.

In ihren Choreografien kombiniert Smadar Goshen verschiedene Bewegungsansätze wie zeitgenössischen Tanz, Ausdruckstanz und Theatertanz. »Manche Teile des Stücks haben mehr schauspielerische Aspekte, andere sind langsamer und stellen den Körper als Skulptur oder Gemälde dar. Wieder andere sind rhythmischer, was die Bewegungen angeht«, erklärt sie. Neben dem Tanz an sich, spielen auch die Musik, die Kostüme und das Bühnenbild eine Rolle im Kreativprozess »Wenn ich etwas kreiere, investiere ich viel in Körperarbeit und Bewegung, aber auch in andere künstlerische Aspekte. Die Musik ist selbstgemacht, zusammen mit einem Musiker, genau wie die Kostüme und das Bühnenbild - es ist ein ganzes Universum.«

Smadar Goshen schaut sich in ihrem neuen Solostück Chaos auf körperlicher Ebene an und erkundet, wie viele Ebenen an Information der Körper gleichzeitig ausdrücken kann. Das Besondere am Tänzer ist für sie, dass mit einem Instrument kommuniziert wird, das all« im Publikum kennen - dem Körper An Ken 131 hat die Künstlerin schor vor dem siebten Oktober gearbeitet dem Tag, an dem die radikalislamischen Hamas Israel angriffen. »Ironischerweise geht es in meinen Stück um Verlust«, sagt Smadar Goshen. Der Angriff Anfang Oktober stellt für sie einen Einschnitt in ihrem künstlerischen Schaffen dar: »Ich habe ein mir nahestehendes Familienmitglied verloren. « Zwei Wochen lang sei sie wie paralysiert gewesen, habe dann aber wieder begonnen, zu arbeiten: »An etwas anderem zu arbeiten konnte ich mir nicht vorstellen. Ich gehe jetzt anders an den Kreativprozess heran und das Material, mit dem ich arbeite, ist mir selbst noch näher und vertrauter geworden. « Die Tänzerin ist gespannt, wie sich ihre Erfahrungen der vergangenen Wochen auf das Stück auswirken werden.

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