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„Zwei Monate ohne Existenzsorgen“

Katja Spiess, Leiterin des Figurentheaters Stuttgart (FITZ), sagt im Interview, wie man auch bei Online-Vorstellungen dem Publikum ein Live-Erlebnis bietet und welche freischaffende Künstler von „Care-Residenzen“ im Fitz profitieren.

erschienen am 18.02.2021 von Nicole Golombek bei StZN

Frau Spiess, seit bald einem Jahr versorgen Sie Zuschauer mit Theater via Internet. Was funktioniert, was nicht?

Was sehr gut ankommt, ist ein gewisses Gefühl fürs Live-Erlebnis. Dass wir per Zoom die Online-Zuschauer begrüßen, dann eine gut gefilmte Produktion zeigen, denn alles live zu spielen, dazu sind die Datenleitungen nicht gut genug. Danach bieten wir dann aber wieder live Gespräche mit den Künstlern und dem Publikum an. Das ist spannend für uns zu sehen, von wo schauen uns die Menschen zu – von Stuttgart bis nach Großbritannien und in die USA.

Wird das auch bei der Premiere von „Meeresgeflüster“ am 19. Februar so funktionieren?

Ja, wir werden die Zuschauer begrüßen, und danach gibt es ein Publikumsgespräch. Das Stück selbst wird live gespielt im Bosch-Saal im Treffpunkt Rotebühlplatz, dort ist Platz für einen Flügel und sie haben auch die Technik für Livestreams. Das Klavierduo Jost Costa spielt ein Stück von Debussy, sie sitzen in einer Art Aquarium aus Gaze, auf das dann die Videobilder von Katharina Wibmer projiziert werden. So wirkt es gelegentlich, als säßen sie im Meer und spielten unter Wasser. Unser Wunsch war es, dass junge und erwachsene Zuschauer Musik auch visuell anders erfahren können, nebenbei erinnern wir an die Kostbarkeit der Meere und daran, was wir ihnen antun.

Und warum gibt es dann noch On-Demand-Vorstellungen?

Wenn man mit mehreren Kameras filmt und danach schneidet, hat man einfach noch mehr Möglichkeiten – zum Beispiel Nahaufnahmen zu machen oder das Bühnengeschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeigen. Außerdem können wir die Inszenierung so mehr Menschen zugänglich machen.

Das Fitz richtet aktuell zwölf „Take Care“-Residenzen aus, was verbirgt sich dahinter?

Es gibt das bundesweite Stipendiennetzwerk Flausen. Da können Künstler Projekte für szenische Forschung einreichen. Der Fonds Darstellender Künste hat sich im Rahmen seines Förderprogramms „Take Care“ mit Flausen zusammengetan, und die Residenztheater, also auch wir, können nun, weil sie die Künstler vor Ort ja kennen, sogenannte Einzelresidenzen vergeben.

Was passiert da?

Wir ermöglichen freien Künstlern, zwei Monate lang zu arbeiten, ohne dass diese Arbeit sofort in eine Produktion münden muss. Manche arbeiten hier, coronakonform, auf der Probebühne. Manche recherchieren für ein Projekt draußen oder daheim.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler ausgesucht?

Wir haben Künstler gefragt, von denen wir wissen, das sie an Projekten arbeiten, aber auch noch Zeit für eine tiefer gehende Recherche brauchen. Wir haben Künstler ausgesucht, mit denen wir schon lange zusammenarbeiten wollten, aber nicht die Zeit oder die Mittel dafür hatten. Lisa Thomas zum Beispiel, die zum Thema menschliche und künstliche Körper, alte und junge Körper recherchiert, tänzerisch und mit Mitteln des Figurentheaters.

Es wird ja viel diskutiert, wo die Finanzhilfen landen, bei Institutionen oder den Freischaffenden. Wie sieht das hier aus?

Das Geld für die Stipendien wird 1:1 weitergegeben. Es sind Einzelstipendien, die direkt an die Künstler gehen, die nun zwei Monate ohne Existenzsorgen weiterkommen. Was sie in der Zeit recherchiert und gearbeitet haben, wird am Ende dokumentiert und auch öffentlich zugänglich gemacht.

Unter dem Begriff Existenzminimum gehen die Vorstellungen auseinander. Wie hoch sind denn die Stipendien?

Die Künstler erhalten 5000 Euro für zwei Monate. Das klingt erst mal ganz komfortabel, aber dem stehen ja mehrere Monate komplett ohne Verdienst entgegen. Und als Freiberufler haben sie natürlich viel höhere Abgaben als ein Festangestellter, bei dem ja immer auch der Arbeitgeber mitfinanziert. Und es sind eben nur zwölf Menschen, die gefördert werden können, wobei wir schon versucht haben, möglichst breit zu fördern – also etablierte Künstler und Nachwuchskünstler, Männer und Frauen, Menschen, die spielen, komponieren, Regie führen oder schreiben.

Und wie kommt es zu einem Stipendium für Luftakrobatik?

Jan Jedenak ist eigentlich Figurenspieler, beschäftigt sich aber für seine neue Inszenierung mit dieser speziellen Technik und trainiert intensiv am Reck. Wobei es hier nicht um Artistik geht, sondern eine besondere Form von Körperausdruck. Sein Thema ist die Diskriminierung von Minderheiten und das damit verbundene Trauma. Das versucht er in Körpersprache zu übersetzen, mit einem Körper, der versucht, Halt zu finden und immer absturzgefährdet ist.

Fast schade, dass man das nicht live sehen kann.

Mit etwas Glück können Sie das im Projektraum des Kunstvereins Wagenhalle sehen, falls im April wieder gespielt werden darf.

Was kann das Publikum erwarten? Wie geht’s weiter, falls im März nicht nur die Friseure wieder arbeiten dürfen?

Wir versuchen bis jetzt immer, Premieren zu verschieben, wo es möglich ist, wenn nicht, Digitalpremieren anzubieten. Bei manchen Projekten aber macht das Digitale keinen Sinn, etwa bei einem Kinderprojekt, dass mit der Haptik von Papier spielt, in der die Kinder auch etwas schreiben dürfen, das geht nicht online. Offiziell haben wir bis 7. März geschlossen, wir rechnen aber nicht damit, gleich am 8. März wieder loslegen zu können.

Ärgert es Sie nicht, dass Theater weiter geschlossen sind, aber in manchen Bundesländern Nagelstudios aufmachen?

Wir hadern durchaus, weil ja – nach allem, was man heute weiß – Theater ziemlich sichere Orte sind. Aber wenn es nun eben gilt, die Mobilität zu reduzieren, ist es doch nachvollziehbar. Selbst 25 Leute müssen irgendwie hierherkommen. Wir haben eine große Sehnsucht nach Livebetrieb, aber immerhin ist bei uns das Theater ja nicht zu. Die Räume sind gut ausgelastet, wir schaffen Arbeitsräume für die Künstler. Doch die möchten auch mal wieder einem Publikum begegnen. Und, wie ich aus Briefen und den Online-Chats erfahre – dem Publikum geht es ebenso.

 

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